Derzeit sind echte Krisenmanager gefragt. Die Pflege „macht das schon“. „Und wir machen das tatsächlich“, erklärt Irmgard Stake. „Wir wünschen uns aber ganz klar, dass die Politik ihre Regelungen stärker auf die Praxis herunterbricht.“ Denn die Realität „zwischen Fachkräftemangel und Demenz-Erkrankungen“ finde in den Verordnungen nicht statt.
Worst-Case-Szenarien durchgespielt
Irmgard Stake sitzt mit ihrem Team in einer Dienstbesprechung; seit Corona mit großem Abstand und mit FFP2-Masken. Heute spielen sie Worst-Case-Szenarien durch: Was passiert, wenn sich eine*r der extremen „Läufer*innen“ infiziert, sprich: eine*r von den insgesamt 14 Bewohner*innen, die sehr unruhig und gleichzeitig mobil sind? Welche Maßnahmen werden ergriffen und welche aus moralischen oder aus rein pragmatischen Gründen eben nicht? Wie geht das Team mit Menschen um, die aufgrund ihres Krankheitsbildes nicht verstehen können, was vor sich geht?
Krise hat das Team zusammengeschweißt
Nach dem Gespräch sind Irmgard Stake und ihre Mitarbeitenden erschöpft, doch zufrieden. Alle haben konzentriert und kreativ an der Lösung des fiktiven Szenarios mitgewirkt. „Diese konkrete Auseinandersetzung mit dem Thema ist enorm wichtig“, erklärt die WG-Leitung. Raum bleibe auch für persönliche Sorgen. „Darüber zu sprechen tut allen Beteiligten gut“, stellt Irmgard Stake fest. Die Kolleginnen wirken sogar gelöst, denn der neue Fahrplan gibt ihnen Sicherheit. „Die Krise hat das Team noch weiter zusammengeschweißt“, benennt Stake eine positive „Corona-Nebenwirkung“.
Schnelltests sinnvoll – doch Personal ist knapp
Über die Umsetzung der neuen Teststrategie wurde ebenfalls gesprochen: Die sogenannten Schnelltests gelten als sinnvoll. Die Diakonie Gütersloh hatte für den gesamten Unternehmensverbund mit ihrer Tochtergesellschaft DiakonieVerband Brackwede GmbH so frühzeitig wie möglich Tests geordert und Mitarbeitende in der Handhabung schulen lassen. Symptomatische und im rollierenden System symptomfreie Pflegekräfte und Bewohner*innen können so ein Stück weit Gewissheit erlangen. Probleme bereitet eine andere Vorgabe: „Besucher zu testen ist schwierig, denn das Personal fehlt uns dann in der Pflege und Betreuung“, so Stake.
Gesundheitsscreening im Altenheim
Ortswechsel zum Evangelischen Altenzentrum Ernst-Barlach-Haus in Sennestadt, kurz EBH. Neben dem Eingang befindet sich die sogenannte „Pforte“: Hinter eine Glasscheibe sitzt ein Mitarbeiter des Hauses: Er erfragt die Kontaktdaten, misst die Temperatur und erkundigt sich nach dem Befinden, etwa zu Husten und Schnupfen. Nach dem Gesundheitsscreening dürfen symptomfreie Besucher eintreten. In der Eingangshalle am Kamin sitzen mit Abstand zwei Bewohner. Mitarbeitende mit FFP2-Masken eilen umher. Dass sie die beiden älteren Herrschaften anlächeln, lässt sich an den Augen ablesen. Birgit Vogelsang ist seit vier Jahren Leiterin der Einrichtung, in der rund 100 Bewohner*innen leben.
Bisher nicht ein Corona-Fall
Bislang gab es keinen einzigen Corona-Fall in „ihrem Haus“, und dafür ist sie dankbar. „Wir sind gut aufgestellt, sofern man das in dieser Zeit sein kann“, erklärt sie. „Bei den Tests und den Teststrategien ebenso wie bei der Ausstattung mit Persönlicher Schutzausrüstung.“ Der Keller sei vollgepackt mit dieser PSA. Hinzu kommen Hygienekonzepte und Teststrategie, aber auch ein wenig Glück.
„Schaut mal richtig hin, was wir euch alles abnehmen!“
Allerdings: Mehr „Hände für die Pflege“ wünscht sich Birgit Vogelsang mit Blick auf die Politik und die Corona-Verordnungen und fügt hinzu: „Corona wirkt wie ein Brennglas.“ Die Krise zeige, welche Bedeutung die Pflege für die Gesellschaft hat. Es wäre ihrer Meinung nach extrem nachlässig, einen systemrelevanten Bereich personell nicht weiter zu verstärken. Mit einer Sonderzahlung sei es hier nicht getan: „Schaut mal richtig hin, was wir euch alles abnehmen und wo wir euch toll unterstützen können“, lautet Birgit Vogelsangs Apell. „Denkt uns ein Stück mehr mit und tragt eure Politik nicht auf unserem Rücken aus!“
Schutzausrüstung tragen strengt an
Im geschützten Demenz-Garten des EBH darf die Maske abgenommen werden, Abstand vorausgesetzt. Während des ersten Lockdowns wurden hier „Gartenzaun-Gespräche“ geführt und kleine Konzerte, als aufgrund der Corona-Schutzbestimmungen niemand ins Haus durfte. Die Bewohner*innen des Heims und Mieter*innen der angrenzenden Häuser lauschten dann von ihren geöffneten Fenstern aus. Oben in einem der Zimmer geht das Fenster auf, ein Pfleger beugt sich vor, setzt kurz die Maske ab, nimmt ein paar tiefe Atemzüge, setzt sie auf und verschwindet. „Das ist eine der kurzen Verschnaufpausen“, erklärt die Hausleitung. Das Tragen der PSA ist anstrengend. „Aber wir alle tragen sie, weil sie schützt, und dann nehmen wir die Unannehmlichkeiten gerne in Kauf.“
Trotz Abstand Nähe schaffen
Die Maske ist allgegenwärtig. Die Herausforderung lautet, trotz Abstand Nähe zu bewahren, nicht nur zu den Bewohner*innen und den Angehörigen, sondern auch im Team. Dienstbesprechungen finden entzerrt statt, ebenso sogenannte Blitzrunden, in denen sich das Personal für wenige Minuten trifft.
Azubis betreten Neuland
Azubis haben dieses Jahr in doppelter Hinsicht Neuland betreten: Sie sehen sich mit dem Arbeiten und Lernen unter Corona-Bedingungen und dem Start der neuen, generalistischen Ausbildung konfrontiert. Irmgard Stake hat in ihrer Funktion als Ausbildungsbeauftragte 2020 erlebt, wie Schulzeiten für die Azubis geändert, Fremdpraktika verweigert und Prüfungen ganz anders durchgeführt wurden. „Die neue Pflegeausbildung beginnt etwas holperig, aber es schwingt sich alles ein“, fasst sie zusammen. Generell wünscht sie sich mehr Zeit für Azubis, Tests, Umsetzung von Verordnungen und die systemrelevante Pflege. Und warum sollte man sich trotz aller Herausforderungen für die Arbeit in der Pflege entscheiden? Irmgard Stake muss nicht lange überlegen: „Mal abgesehen von den Fakten – gute Bezahlung nach Tarif, ein sicherer Job und so weiter – Es ist einfach der schönste Beruf!“