Zum 1. September 2021 will die Diakonie Gütersloh insgesamt zwölf junge Menschen einstellen, die binnen drei Jahren zum „Pflege-Allrounder“ werden möchten. Aktuell sind noch sechs Plätze frei. Falls alle besetzt werden, wären schon 22 Generalist*innen bei der Diakonie Gütersloh im Einsatz.
„Jeder Tag ist anders“
Eine von ihnen ist Alexandra Frei aus Isselhorst. Sie hat ihre Ausbildung vor fast einem Jahr begonnen, als die neue Ausbildungsform eingeführt wurde. Haupt-Einsatzort ist die Pflege-WG der Diakonie in Isselhorst Am Pastorengarten 21. Dort arbeitet auch schon die Mutter der 19-Jährigen.
Es sei ein Start „mitten im Chaos“ gewesen wegen der Corona-Pandemie, erinnert sich Alexandra Frei. Ihre Entscheidung für den Pflegeberuf hat sie dennoch nicht bereut: „Natürlich gibt es Höhen und Tiefen wie in jedem Beruf“, sagt sie. „Aber es ist ein schönes Gefühl, anderen Menschen zu helfen.“ Jeder Tag sei anders. „Man weiß nie, was kommt, aber das ist in Ordnung. Ich brauche Abwechslung und Bewegung. Reine Büroarbeit, das wäre nichts für mich.“
Ein Tablet für jeden Azubi
„Die Pflege ist ein Beruf mit Zukunft. Und sie ist deutlich besser als ihr Ruf“, betont Irmgard Stake, Ausbildungsbeauftragte für die Diakonie Gütersloh. Sie selbst ist seit 30 Jahren in der Pflege tätig und leitet eine Pflege-WG in Ennigerloh. „Natürlich gehören Wochenend- und Schichtarbeit dazu“, sagt Irmgard Stake, „aber der Beruf ist sehr erfüllend und die Atmosphäre bei der Arbeit häufig familiär.“
Was sie ebenfalls ärgert, sind pauschale Behauptungen, dass Pflegekräfte grundsätzlich schlecht bezahlt würden: „Das stimmt so nicht!“ Beispiel Generalisten: Im ersten Ausbildungsjahr erhalten sie eine monatliche Vergütung von 1.165,69 Euro, im zweiten 1.227,07 Euro und im dritten Jahr 1.328,38 Euro. Hinzu kommen bei der Diakonie eine Jahressonderzahlung und die kirchliche Zusatzversorgung. Außerdem gibt es ein Tablet für jeden Azubi, zur digitalen Unterstützung und als Konsequenz aus den Abstandsgeboten während der Pandemie.
Schulgeld für den Besuch einer Pflegeschule muss schon seit einigen Jahren nicht mehr gezahlt werden. Lehr- und Lernmittel werden ebenfalls kostenlos bereitgestellt.
Von der Altenpflege auf die Kinderstation und umgekehrt
Ein großer Vorteil der generalistischen Berufsausbildung besteht darin, dass die Absolventen jederzeit zwischen verschiedenen Einsatzfeldern wechseln können. Wer also in der Altenpflege arbeitet, kann später auch auf einer Kinderstation tätig sein.
Eher an der Reihe und zugleich wesentlich breiter gefächert ist auch die Schulung zu Krankheiten wie Diabetes. Das berichtet Praxisanleiterin Anja Poppek, die Irmgard Stake in der generalistischen Ausbildung unterstützt. Außerdem dürften angehende Generalisten eher bestimmte Tätigkeiten übernehmen, als es früher erlaubt war. Alexandra Frei zum Beispiel hat gleich bei ihrem ersten Einsatz Blutdruck gemessen. Unter Aufsicht darf sie auch Spritzen setzten. Kommen neue Aufgaben auf sie zu, wird Alexandra Frei gefragt, ob sie sich das zutraut, „und im Zweifelsfall kommt jemand dazu.“
Auszubildende bei der Diakonie Gütersloh können sich auch weiterhin für die „klassische“ Altenpflege entscheiden. Das ist vor dem dritten Ausbildungsjahr möglich. Am Ende steht dann der Abschluss „Altenpfleger/in“. „Ich würde aber jedem raten, in die Generalistik zu gehen“, so Irmgard Stake. Denn die generalistische Ausbildung biete einfach zusätzliche Perspektiven für die Absolventen. Nur sie dürfen Bedarfs- und Risikoanalysen erstellen und die Planung der Pflege übernehmen. Deshalb werden sie auch höher bezahlt als Altenpfleger*innen.
Pflegeschulen erstellen Pläne
„Indem ich einen bestimmten praktischen Arbeitgeber wähle – beispielsweise die Diakonie – setzte ich von vornherein einen Schwerpunkt“, so Irmgard Stake weiter. Für die Theorie sind Pflegeschulen zuständig. Sie steuern den Ausbildungsplan. Die Diakonie kooperiert mit der Kolpingpflegeschule in Gütersloh, der Pflegeschule Nazareth in Bielefeld (Bethel) und dem Evangelischen Johanneswerk, ebenfalls in Bielefeld, sowie dem Edith-Stein-Kolleg in Warendorf.
Die Praktika
Mehrere Praktika in unterschiedlichen Einrichtungen sind Teil der Ausbildung. Dazu gehören ein Orientierungspraktikum in der Einrichtung des Arbeitgebers, mit dem der Ausbildungsvertrag abgeschlossen wurde, außerdem drei Pflichtpraktika à zwölf Wochen in der ambulanten und der stationären Pflege sowie in einem Akutkrankenhaus
und im dritten Jahr ein Vertiefungspraktikum in der Einrichtung des Arbeitgebers. Hinzu kommen Praktika in der (Geronto-)Psychiatrie und in der Kinderkrankenpflege.
Ziel: ortsnah eingesetzt werden
Ein Knackpunkt: Schon 16-Jährige können die generalistische Pflegeausbildung beginnen. Früher starteten Azubis frühestens mit 18 Jahren. „Wir befinden uns hier noch in einer Experimentierphase“, sagt Irmgard Stake ganz offen. 16 Jahre, das sei früh. „Auszubildende haben viel mit Schmerz, Tod und psychiatrisch veränderten Menschen zu tun. Nicht alle jungen Menschen stecken das so einfach weg.“
Ein Ziel ist es, die Auszubildenden möglichst ortsnah einzusetzen – wobei das gerade bei Krankenhäusern nicht immer klappt. „Daher müssen die Schüler*innen auch mobil sein“; betont Irmgard Stake.
Arbeitgeber spüren Konkurrenzdruck
Im September ist eine Praktikumstreffen mit den Praxisanleitern geplant. Wegen Corona hatten sich manche Auszubildenden und Praxisanleitende lange Zeit nicht gesehen. Auch hier bestehe noch Verbesserungsbedarf, so die Ausbildungsbeauftragte. Ein erster Ansatz sind Notebooks für die Praxisanleiter*innen.
Für die Arbeitgeber bedeutet das neue Konzept auch einen gewissen Druck. Schließlich wechseln die Auszubildenden während der Praktika in verschiedene Einrichtungen. Irmgard Stake: „Die Schülerinnen sehen eine Menge. Daher müssen wir uns absolut gut präsentieren. Denn nur, wenn wir gut ausbilden, bleiben die Schüler*innen anschließend hoffentlich bei uns.“
Alexandra Frei hat sich bereits entschieden. Für die generalistische Ausbildung und, wie sie jetzt sagt, für die Arbeit in der Altenpflege. Auch deshalb, weil sie gern die Geschichten der alten Menschen hört.