Die vergangenen Tage waren für die Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen sowie ihre Angehörigen und die Pflegedienste selbst ein Auf und Ab. Erst der Corona-Ausbruch rund um Tönnies, dann am Wochenende Lockerungen in Sachen Besuchsregeln für die Pflegeeinrichtungen in NRW, gestern das Wiederhochfahren alter Beschränkungen in den Kreisen Gütersloh und Warendorf – ohne diese jedoch für die Altenpflege oder die Sozialen Hilfen zu konkretisieren. „Natürlich ist das eine besondere Situation und vielfach muss man einfach zügig agieren und reagieren. Aber der jüngste Schlingerkurs wäre definitiv vermeidbar gewesen“, so Neßler. „Es ist auch für Pflegebedürftige und Angehörige belastend, wenn sie aus den Nachrichten von Lockerungen erfahren und sich darauf freuen, nur, damit dann der Lockdown kommt. Beziehungsweise ein vermuteter Lockdown für Pflegeeinrichtungen. Denn ob es wieder Besuchseinschränkungen in Pflegeeinrichtungen geben soll, das wurde in den Pressestatements der Landespolitik bisher mit keinem Wort erwähnt.“
Die am vergangenen Wochenende veröffentlichte Allgemeinverfügung für das Land NRW ermöglicht es zum Beispiel Bewohnern, ihr Heim oder ihre WG für bis zu sechs Stunden in Begleitung zu verlassen. Auch Körperkontakt zwischen Bewohnern und Besuchern ist – Alltagsmaske und Handdesinfektion vorausgesetzt – wieder möglich. Ab dem 1. Juli dürfen Bewohner zudem bis zu zwei Mal täglich Besuch empfangen, der nicht auf unter eine Stunde begrenzt sein darf. Auch Besuche auf den Zimmern sind wieder möglich. Diese Lockerungen sollten zunächst auch für den Kreis Gütersloh gelten. Ob sie das weiterhin tun –trotz des gestern angekündigten Lockdowns – ist auch am Mittwochmorgen weiter offen.
„Als wir am Wochenende von den Lockerungen erfahren haben, waren wir – gelinde gesagt – etwas schockiert“, sagt Burkhard Kankowsi, Geschäftsführer des Vereins Daheim. „Einerseits haben wir diesen enormen Corona-Ausbruch bei Tönnies, bei dem es sich – Stand jetzt – zwar um ein lokales Infektionsgeschehen handelt, dessen weiterer Verlauf aber noch nicht absehbar ist. Und dann kommen Lockerungen für Pflegeeinrichtungen, die in Teilen ab sofort umzusetzen sind. Die besondere Situation im Kreis Gütersloh wurde dabei mit keinem Wort erwähnt. Das empfinden wir als fahrlässig.“ Die Unternehmen der AG Wohlfahrt hatten deswegen bereits von sich aus begonnen, Angehörige zu bitten, ihre pflegebedürftigen Verwandten fürs Erste nicht in Heimen oder Wohngemeinschaften zu besuchen und lieber Vorsicht walten zu lassen.
Dann kam gestern der Lockdown – und ließ bei den Pflegediensten noch größere Fragezeichen zurück. „Gelten die Lockerungen weiter? Muss zurückgerudert werden? Dass weder Ministerpräsident Laschet noch Landesgesundheitsminister Laumann dazu gestern ein Wort verloren haben, ist äußerst schade“, so Kankowski.
Ähnlich kritisch betrachten auch weitere Kolleginnen und Kollegen aus der Arbeitsgemeinschaft die vergangenen Tage. „Als Pflegedienstleister waren wir am Sonntag wohl alle etwas enttäuscht, als Minister Laumann ein Pressestatement im Kreis Gütersloh abgegeben hat und mit keinem Wort auf die Pflegebedürftigen eingegangen ist“, sagt Matthias Timmermann, Vorstand des Caritasverbands für den Kreis Gütersloh. „Eineinhalb Wochen vorher hätten wir diese neuen Lockerungen sofort begrüßt. Das Infektionsgeschehen hätte dies hergegeben. Aber durch Tönnies hat sich das geändert.“ Dass sowohl Bewohner als auch Angehörige und Pflegekräfte weiter im Ungewissen bleiben, ärgert ihn. „Ein Nebensatz in der Pressekonferenz, dass es noch Informationen zu den Besuchsregeln geben wird, wäre schön gewesen.“
Denkbar wären aus Sicht der AG Wofa beispielsweise Besuchsregeln, wie sie bis vergangenen Samstag gegolten haben. Danach sind Besuche in beschränktem Rahmen und unter strengen Hygienevorgaben möglich. Mit Blick auf den Infektionsschutz noch sicherer wäre eine Wiedereinführung der Besuchsverbote zumindest für die kommenden sieben Tage. „Auch wenn dies für unsere pflegebedürftigen Bewohner und ihre Angehörigen einen schweren Einschnitt bedeuten würde, wären diese Regelungen sinnvoll – schließlich gilt es, eine besonders vulnerable Personengruppe zu schützen“, betont die AG Wofa.
Dass natürlich auch trotz Beschränkungen Kontakt zwischen Pflegebedürftigen und Angehörigen wichtig und möglich ist, betont Julia Stegt, Geschäftsführerin des Paritätischen Kreis Gütersloh sowie stellvertretende Vorsitzende der AG Wohlfahrt: „In den ersten Wochen der Pandemie hatte sich das sehr gut etabliert. Und in den kommenden Tagen können wir wieder auf pandemie-bewährte Kommunikation per (Video)Telefon oder über den Gartenzaun zurückgreifen“, sagt sie. „Aktuell sollten wir Vorsicht walten lassen.“ Sie bedauert zudem, dass auch Kolleg*innen und Klient*innen der Sozialen Hilfen im Unklaren gelassen werden. „Unsere Mitarbeitenden helfen und beraten Menschen auch in Ausnahmesituationen – und gerade jetzt werden ihre Hilfen besonders nachgefragt. Gleichzeitig fragen auch sie sich, wie es regelungstechnisch für sie weitergeht.“ Stegt spricht sich zudem für eine Ausweitung der Reihentests auf Mitarbeitende der Sozialen Hilfen aus. „Die Kolleg*innen dort haben viel Kontakt zu anderen Menschen und stehen natürlich auch den vom Tönnies-Vorfall betroffenen Familien zur Seite. Eine Reihentestung liegt daher für uns auf der Hand.“
Infokasten: Die AG Wohlfahrt
Die AG Wohlfahrt ist eine Arbeitsgemeinschaft von sechs gemeinnützigen Wohlfahrtsverbänden im Kreis Gütersloh. Dazu gehören: der AWO Kreisverband Gütersloh, der Caritasverband für den Kreis Gütersloh, der DRK Kreisverband Gütersloh, die Diakonie Gütersloh, die Diakonie Halle sowie der Paritätische Kreis Gütersloh.