Gegen die Einsamkeit in der Pandemie: „Treffpunkt Alter“ bleibt auch virtuell mit Gästen in Kontakt

Das Team „Treffpunkt Alter“ (v. l.): Simone Nogossek, Christina Schütte und Praktikantin Justine Grammatico, die an der Fachhochschule Bielefeld soziale Arbeit studiert.

Immer mehr Menschen fühlen sich einsam nach zwei Jahren Pandemie. Zahlreiche Studien bestätigen das. Welche Erfahrungen haben der DiakonieVerband Brackwede und die Diakonie Gütersloh mit dem Thema Einsamkeit gemacht? Und welche Lösungen haben sie entwickelt? In Teil eins unserer Serie geht es um den „Treffpunkt Alter“ in Brackwede, Auf der Schanze 3. Er bleibt auch virtuell mit seinen Gästen in Kontakt.

Wenn eine alte Dame am zweiten Weihnachtstag mit dem Frühjahrsputz beginnt, dann läuft etwas schief. Froh war die alleinstehende Frau, dass es wenigstens den „Online-Klön“ mit vielen vertrauten Gesichtern gab. Dieses Video-Treffen per Zoom hatte der „Treffpunk Alter“ (TPA) organisiert, eine Koordinations- und Beratungsstelle für ältere Menschen und ihre Angehörigen im Bielefelder Süden (siehe Infokasten). Acht Personen nahmen daran teil. So kam zumindest virtuell Besuch ins Haus der alten Dame und munterte sie auf.

Mehr als 1.000 Gäste nutzten 2021 die Angebote

Per Video-Schaltung plaudern, spielen, gemeinsam Musik hören: Der „Online-Klön ist nur eins von vielen digitalen und Präsenzangeboten, welche Christina Schütte und Simone Nogossek vom TPA in den vergangenen Jahren auf die Beine gestellt haben. Allein 2021 nahmen weit über 1.000 Gäste daran teil.

„Es gibt Menschen, die hintenüberfallen“

Miteinander in Kontakt bleiben - nicht immer ist das gelungen. „Es gibt Menschen, die wir nicht mehr erreichen, die hintenüberfallen“, stellt Christina Schütte mit einer gewissen Ernüchterung fest. Sie schätzt, dass sich zehn bis 20 Prozent der vorherigen Teilnehmenden nicht mehr melden. „Manche BesucherInnen, die sonst immer zu unseren Veranstaltungen im Begegnungszentrum Neue Schanze, im Bartholomäus-Gemeindehaus und an anderen Standorten kamen, wollen uns nur persönlich treffen.“ Nicht einmal das Telefon sei eine Alternative für sie. Telefonieren wird als unpersönlich empfunden. Und manchmal gab es einfach Probleme mit dem Hörgerät.

Nachbarschaftsfeste vermisst

Bitter war für viele, dass die beliebten Nachbarschaftsfeste in der Uthmannstraße ersatzlos ausfallen mussten. Vor der Pandemie fanden sie bis zu viermal im Jahr statt, organisiert unter anderem von der TPA, der Stadtteilkoordination Brackwede, der Initiative Interkulturelle Begegnung Brackwede.

Die Gruppe „Nachbarschaftsfrühstück“ musste nach dem Lockdown im Sommer 2021 geteilt werden. Mit dem Ergebnis, dass nun jede*r nur alle zwei Monate eingeladen werden kann. „Alle warten schon sehnlichst darauf, dass es wieder richtig losgeht“, sagt Christina Schütte.

Im vergangenen Jahr ist das Erzählcafé 30 Jahre alt geworden. Es gilt als feste Institution in Brackwede. Normalerweise kommen bis zu 30 SeniorInnen montags im Bartholomäus-Gemeindehaus zusammen. Sie klönen ein halbes Stündchen bei Kaffee und Keksen. Später lauschen sie einem Vortrag, sei es ein Reisebericht, eine Biografie, Informatives aus Kunst, Kultur oder Religion. „Für viele war das ein fester Termin in der Woche“, so Simone Nogossek. Wieder eine Möglichkeit zur persönlichen Begegnung, die zwischenzeitig ganz wegfiel.

Doch es gibt Hoffnung: „Ab März 2022 sind wir wieder im Gemeindehaus“, kündigt Simone Nogossek an. „Wir nennen es dann ‚Erzähltreff‘, weil wir noch nicht wieder Kaffee ausschenken dürfen.“

Alternativ bietet der TPA bereits im ersten Halbjahr 2021 und wieder seit Januar 2022 das „Erzählcafé per Telefon“ an. Allerdings zeigen sich hier zwei gegenläufige Entwicklungen: Nur zwei Gäste aus dem „Live-Erzählcafé“ machen bei diesem Format mit. Dafür konnten sechs „Neue“ hinzugewonnen werden. Besonders Menschen, die nicht mehr so mobil sind, nutzen die Chance, aus der Ferne an der Veranstaltung teilzunehmen. 

Rein digitale Angebote – mehr als ein Rettungsanker

„Ich bin total stolz auf die vielen Zoom-Geschichten, die wir auf die Beine gestellt haben“, sagt Christina Schütte. „Sie helfen den Menschen, ihre Tage zu strukturieren, selbst wenn man sich nicht persönlich begegnet.“ Wie das geht – sich virtuell treffen, das haben die Gäste in zahllosen Veranstaltungen erlernt.

Ein Beispiel: Das Format „Digital informiert“ behandelte von März bis Weihnachten 2021 insgesamt 37 verschiedene Themen mit dem Ziel, im Alltag weiterzuhelfen und Hobbies zu fördern. Musik hören mit Spotify, Enkeltricks per E-Mail oder SMS erkennen und abwehren, im Internet nach gebrauchten Dingen stöbern und auf Ebay verkaufen, Datenschutzregeln beachten, Fotos bearbeiten oder per Smartphone „Vögel an Aussehen und Stimme erkennen“ - all das ließ sich unter fachkundiger Anleitung entdecken.

Hinzu kam ab August 2021 die „Dienstags-Schulung“, angeleitet von einem Studenten der Wirtschaftsinformatik und finanziert über Kollektenmittel. In 20 kleinen Webinaren konnten sich die Senior*innen und Senioren weiterbilden. Wer regelmäßig dabei war, erlernte nicht nur Basiswissen, sondern dürfte sich nun auch auskennen mit dem sicheren Bezahlen im Netz, der Bildbearbeitung mit kostenlosen Tools oder auch der Produktion von Video-Clips.

Beide Formate haben ihre Stammgäste. Man trifft sich ähnlich wie bei Live-Veranstaltungen. Grüßt sich, freut sich auf vertraute Gesichter und einen „Moderator“, der gut erklärt und sich über Fragen jeglicher Art freut.

Zurück zur „Normalität“

Vorsichtige Schritte zurück zur Normalität macht der TPA schon jetzt mit Präsenzveranstaltungen, etwa den iPhone-Kursen: Viele Senior*innen kommen trotz 2G-Regelung und Maskenpflicht. „Ich lasse mich nicht unterkriegen“, betont eine Teilnehmerin.

Auch das Internet-Café ist inzwischen wieder gut besucht, doch einige frühere Teilnehmer*innen bleiben fern. Zum Teil spielt hier die Sorge vor eine Corona-Infektion eine Rolle.

Der Treff für pflegende Angehörige startete bereits im Juli 2021 wieder live, alle zwei Wochen: Mit durchschnittlich acht Teilnehmenden ist er gut besucht. Neu hinzu kam im Januar etwas ganz Neues und einmalig in Bielefeld: ein Treff für Pflegende Männer.

Weitere Angebote in Präsenz will Christina Schütte frühestens Mitte März 2022 vorstellen, in der Hoffnung, dass die Omikron-Welle bis dahin abebbt.

Fest steht: Es wird mehrere Aktionen zur Klimawoche in Bielefeld geben. Am 14. März 2022 stellt der „Treffpunkt Alter“ ein Video ins Netz, in dem ältere Menschen darüber berichten, was sie für den Klimaschutz tun; frei nach dem Motto „Ich rette Eisbären“. Ebenfalls am 14. März 2022 wird im „Erzählcafé“ die Inhaberin des „Unverpackt“-Ladens aus Heepen zum Thema Nachhaltigkeit berichten. Und in der Reihe „Digital informiert“ geht es am 17. März 2022 um Apps, die Tipps für ein klimafreundliches Leben liefern.

 

Zum „Treffpunkt Alter“

Der Treffpunkt Alter (TPA) ist eine Koordinations- und Beratungsstelle für ältere Menschen und ihre Angehörigen im Bielefelder Süden. Träger sind der DiakonieVerband Brackwede und der Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt Bielefeld. Einzelne Lernkurse werden mit Hilfe von Kollektenmitteln der Evangelischen Kirche und mit Unterstützung des Fördervereins finanziert.

Die Büros befinden sich im Gebäude Auf der Schanze 3 in Brackwede. Aktiv beteiligt sich der „Treffpunkt Alter“ auch

·         am Runden Tisch Begegnung Brackwede

·         am Brackweder Frauentreff

·         am Kooperationskreis Alter

·         an der Initiative „Baumstarke Nachbarschaften“.

 

Einsamkeit – „eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“

Alle Altersgruppen können von Einsamkeit betroffen sein. Jedoch stehen ältere Menschen nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Vordergrund. Besonders bei den über 80-Jährigen bestehe „ein deutlich höheres Risiko einer sozialen Isolation, wenn zahlreiche andere Problemlagen dazukommen“. Das können Schicksalsschläge und Krankheiten sein, aber auch einfach die schwindende eigene Beweglichkeit, zu wenig Mobilitätsangebote etwa in den Stadtteilen oder auf den Dörfern, Altersarmut und nicht zuletzt ein Migrationshintergrund, so das Ministerium. Betroffene benötigten Hilfe, um „aus ihrer Vereinsamung und aus sozialer Isolation herauszufinden.“ Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Hier geht es zur Studie: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/aeltere-menschen/aktiv-im-alter/einsamkeit-im-alter-135712